die Marie
Wiener Frauen*arbeitskreis

Weibliche* Wohnungslosigkeit


Wohnungslosigkeit wird als ein männliches* Phänomen in der Gesellschaft wahrgenommen. Doch Wohnungslosigkeit hat viele Gesichter und ist kein rein männliches* Problem. Die Gruppe der wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit bedrohten Frauen* ist keine in sich geschlossene Gruppierung, sondern gestaltet sich sehr heterogen. Frauen* sind von sichtbarer, latenter genauso wie verdeckter Wohnungslosigkeit betroffen. Doch gerade die verdeckte Wohnungslosigkeit ist ein Spezifikum der weiblichen* Wohnungslosigkeit. 

 

Wohnungslose Frauen*

Im Unterschied zur männlichen*, sichtbaren Wohnungslosigkeit ist die spezifische Erscheinungsform bei Frauen* häufig die "verdeckte Wohnungslosigkeit". Frauen* versuchen, Wohnungslosigkeit zu vermeiden, beziehungsweise entstandene Wohnungslosigkeit verdeckt zu leben und ihre Notlage zu verbergen. Weibliche* Wohnungslosigkeit ist oft unsichtbar, um die gesellschaftliche Anerkennung als Frau* nicht ganz zu verlieren. Sie gehen aufgrund der gesellschaftlichen Zuschreibung davon aus, dass ihre Armut als persönliches Versagen und Schande gilt.

Frauen* suchen aus Scham oder Schuldgefühlen nach privaten Lösungen, die sie sehr oft in neue Abhängigkeiten führen. Sie leben nach einem Wohnungsverlust häufig in Provisorien und unsicheren Wohnverhältnissen. Sie tauchen bei Bekannten, Verwandten unter oder kehren in ihr Elternhaus zurück.

Frauen* lassen sich auch auf das Unterkommen bei Zweckpartnern und Zufallsbekanntschaften ein, trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten, um so lange wie möglich nicht aufzufallen und ohne institutionelle Hilfe auszukommen. Einrichtungen bieten oft nicht die nötige Sicherheit für Frauen*, um sich von den prekären Wohnverhältnissen zu trennen. Auch das Überleben auf der Straße bedeutet ein enormes Sicherheitsrisiko für Frauen*. Viele versuchen solange wie nur möglich diese Situation zu vermeiden.

Dieses vorübergehende Unterkommen bei Männern* bietet Frauen* die Möglichkeit, eigenen Grundbedürfnissen nachgehen zu können. Gleichzeitig haben sie ein Dach über dem Kopf ohne sich einer Etikettierung durch die Mitmenschen auszusetzen. Zudem wird der gesellschaftliche Status des "Frau*seins" nicht in Frage gestellt, da das Bestehen einer Zweckpartnerschaft den Anschein der Normalität wahrt und ein Auffällig werden verhindert. In vielen Fällen erwarten die Männer* als Gegenleistung für die Bereitstellung des Bettes sexuelle Gefügigkeit und Unterordnung und/oder Haushaltsführung. Frauen* sind in diesen Kontakten oft vielen Nötigungen und offener Gewalt ausgesetzt.  Die Folge derartiger "zweckorientierter Partnerschaften" bedingen eine Lebenssituation (Gewalt in der Beziehung, Alkohol- und Medikamenten-missbrauch, unter Umständen auch Gelegenheitsprostitution), die schließlich von der verdeckten in die offene Wohnungslosigkeit führen kann. Die Zahl der Frauen*, die auf der Straße, in unsicheren Wohnverhältnissen oder in derartigen zweckorientierten Partnerschaften leben, ist unbekannt. Entsprechende Studien zu Frauen*wohnungslosigkeit mit statistischen Zahlen der betroffenen Frauen* in Österreich wurden bisher nicht durchgeführt. 

 

Ursachen von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit bei Frauen*

Für die Erklärung von Ursachen weiblicher* Wohnungslosigkeit empfiehlt sich ein mehrdimensionales Erklärungsmodell anzuwenden. So ergeben sich einerseits strukturelle, aber auch persönliche Ursache, die meist in Kombination zur Wohnungslosigkeit führen. Folgende Faktoren können Ursachen für weibliche* Wohnungslosigkeit sein:

  • die strukturell vorhandenen, spezifisch weiblichen* Armutsrisiken (Lohndiskriminierung, Erwerbsunterbrechungen, unbezahlte Haus- und Familienarbeit)
  • der Wohnungsmarkt (befristete Mietverträge, überteuerte Wohnungen,…)
  • finanzielle Schwierigkeiten (geringes Einkommen, Schulden, Mietrückstände)
  • individuelle Problemlagen (Krankheiten, Suchterkrankungen,... )
  • Veränderung der Familienstrukturen ( Trennungen/Scheidung,  Gewaltbeziehungen, etc.)
  • u.v.m.

 

Erklärung des Problems und der vorhandenen Mängel

Der durchschnittliche Anteil der die Wohnungslosenhilfe aufsuchenden Frauen* liegt bei 33% im Jahr 2020[1] (die Prozentzahl variiert je nachdem ob Wohnheim, betreutes Wohnen oder Tageszentrum). Vermutet wird, dass der geringe Frauen*anteil, also die Sichtbarkeit der Frauen* im Hilfesystem, nicht dem tatsächlichen Ausmaß ihrer Wohnungslosigkeit entspricht. Die Dunkelziffer der "verdeckt Wohnungslosen" Frauen* dürfte erheblich größer sein. Eine Bestandsaufnahme der Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe zeigt, dass es überwiegend gemischtgeschlechtliche Einrichtungen gibt, die auf die Bedürfnisse von Frauen* oft nicht ausreichend eingehen. Die dort herrschende Männer*dominanz ist für manche Frauen* ein Grund, diese Orte zu meiden oder wieder zurück in Zweckpartnerschaften zu gehen. Deshalb ist es umso wichtiger, frauen*spezifische Einrichtungen zu schaffen. In den letzten Jahren wurden einige Einrichtungen in der Wiener Wohnungslosenhilfe eröffnet, um den vorherrschenden Mangel entgegenzuwirken. So wurde das das Frauen*wohnzentrum (seit 2002), Frauen*wohnzimmer (seit 2005) und das Tageszentrum Ester (seit 2013) eröffnet.
Da wir davon ausgehen können, dass wohnungslose Frauen* und von Wohnungslosigkeit bedrohte Frauen* eine eigenständige Zielgruppe mit spezifischen Problemlagen und Bedürfnissen sind, sind für sie noch weitere eigene Angebote in der Wohnungslosenhilfe zu entwickeln.




[1]https://www.fsw.at/downloads/ueber-den-FSW/zahlen-daten-fakten/fakten/Factsheet_Wohnungslosenhilfe.pdf